Samstag, 21. November 2015

Ein alter Mord...

Die Vorgeschichte

Vor gut einem Jahr rauschte es im Blätterwald unserer Vechtaer Lokalpresse.
Manch Lokalreporter sah sich schon in der Tradition großer Enthüllungs-Journalisten. Die OV hinter sich lassend eine Karriere in der Times oder wenigstens dem Spiegel (der mal eine große journalistische Bedeutung hatte) vor sich liegend.
Offenbar hatte jetzt, nach 70 Jahren, endlich ein Mitglied einer verschworenen Dorfgemeinschaft "ausgepackt". In Mühlen, 1945 ein kleines Dörflein in der damaligen Landgemeinde Lohne, war ein Mord geschehen. Mordlüsterne Südoldenburger sollen hier in der frühen Nachkriegszeit über wehrlose "displaced persons", ehemalige Fremdarbeiter, hergefallen sein um sie zu Tode zu bringen.
Und 70 Jahre lebte der Ort mit dem düsteren Geheimnis das jetzt endlich ans Licht kommen würde.
Eine Geschichte wie in einem Groschenroman.
Die Mordkommission rückte an - die Lokalpresse überschlug sich in Spekulationen - und auch der Heimatbund Oldenburger-Münsterland war involviert. Letzterer fühlte sich in Person des Historikers Dr. Hirschfeld genötigt das Themenfeld "Gewalt am Ende des Krieges im Oldenburger Münsterland" näher zu untersuchen.
Ja, der nächste Studientag des Heimatbundes sollte dem Thema gewidmet werden. Der Studientag 2015 in der HVHS Stapelfeld. Am 21.11.2015. Heute.

Meine Motivation


Meine Oma hat viel erzählt. Aus ihrer Kindheit, ihrer Jugend, ihrer Verlobungs- und Ehezeit, dem Krieg und ihrer Zeit als Kriegerwitwe. Stundenlang. Und ich habe ihr gern zugehört. Heute bin ich ihr dankbar das ich dadurch viel über ihr Leben weiß.
Dann hörte ich von diesem geplanten Studientag. Von den "Morden" in Kroge.
Moment mal - meine Oma wurde auf einer Heuerstelle in Südlohne geboren und ist dort aufgewachsen. Südlohne liegt in unmittelbarer Nähe von Kroge. Und Eines ist mir in Erinnerung geblieben - meine Oma erzählte das die Fremdarbeiter am Ende des Krieges "frech wurden". Das es Raubzüge gab, Vergewaltigungen - und das ggf. auch Leib und Leben nicht sicher war.
Das sie deshalb (und weil sie nicht wusste ob im Lohner Stadtgebiet noch geschossen werden würde) die Zeit des Kriegsendes mit ihren Kindern bei ihrem Eltern verbrachte. Wie gesagt: In unmittelbarer Nähe Kroges.
Könnte vielleicht meine Oma in den Mord verwickelt sein? Hatte sie ein dunkles Geheimnis das sie nie aussprach?
Eigentlich sagte sie das sie froh war meinen Urgroßvater als "Schutz" zu haben, ein Mann im Haus war schon eine Abschreckung für Räuber. Hat mein Urgroßvater etwa.....?
Vielleicht um seine Kinder und Enkel zu schützen?
Meine Mutter war bei Kriegsende noch keine vier Jahre alt. Zumindest sie konnte ich ausschließen. Obwohl: Als guter Deutscher muss man zu jeder Schuld bereit sein. Ausschließen wollte ich also auch das nicht.
Es stand also fest:
Ich nehme teil. Ich fahre zum Studientag und lausche den geplanten vier Vorträgen.
Ich gehe der Sache auf den Grund und stelle mich den "Dämonen" meiner Genealogie.

Vom Allgemeinen ins Spezielle

So kann man wohl das Konzept der vier Vorträge, die ich heute erlebte und die diese Vorgänge doch erhellten, zusammen fassen. Ich werde hier nur kurze Überblicke über meine Eindrücke von den Vorträgen geben.
Meine Eindrücke sind natürlich subjektiv. Andere können u.U. zu ganz anderen Ergebnissen gekommen sein oder Vorträge ganz anders bewerten. Dann ist das so und ich muss damit leben.

Prof. Kuropka

Seine Aufgabe war es einen Überblick über die Verrohung der politischen und gesellschaftlichen Sitten in Europa während der Zeit der Weltkriege zu geben.
Das tat er in Form von Zitaten - und ich muss sagen: Mich haben viele dieser Berichte und Aussagen aus der Zeit zwischen 1900 und 1950 erschreckt - schockiert und sprachlos gemacht.
Ich hätte z.B. nie gedacht das Lenin seinen Terror und seine Massen- (ja Völker-)morde in so klare und brutale Sprache gefasst hat. Ich wusste das auch er Millionen von Menschen ermordete, hätte aber mit einer euphemistischeren Sprache gerechnet.
Über ein polnisches Lesebuch in dem Kinder lernten das es "schön ist für die polnische Nation einen Deutschen zu töten".
Zwischendurch natürlich auch Zitate der oder über Nazis wie sie Jedem hinreichend bekannt sein dürften. Bedrückend da besonders auch der Text, den eine Journalistin Anfang der 30er Jahre verfasste (als die und in dem sie schilderte wie der SA-Mob auf seinen Weg in den Reichstag (nachdem die Stimmen für die NSDAP sich 1930 vervielfacht hatten) jüdische Geschäfte beschädigten und die verhassten schwarz-rot-goldenen Fahnen der Republik schändeten die ihnen in die Hände fielen. Es war von schwarzen, roten, goldenen Stoff-Fetzen die Rede die sie zurückließen nachdem sie solche Fahnen zerrissen und darauf herum getrampelt hatten.
Ein wirklich bedrückender Eindruck von einer Zeit in der in Europa Hass und Rassismus vorherrschend waren und in der nie gekannte Massenmorde stattfanden.

Ein Doktor aus Hamburg

Die Hamburger "Helmut-Schmidt-Universität" der Bundeswehr kredenzte uns einen jungen Doktor der wiedergab was wir Alle wissen.
Das ein großer Teil der Fremdarbeiter (gerade aus Osteuropa) NICHT freiwillig nach Deutschland kam (auch die Freiwilligen gab es) sondern "schanghait" wurde. Mit unfairen Mitteln oder gar mit unmittelbarer Gewalt zur Arbeit in Deutschland gezwungen wurden.
Sein Vortrag wurde dadurch das er immer wieder auf diesen Punkt zu sprechen kam wenn er von Übergriffen durch ehemalige Fremdarbeiter berichtete ein wenig Moralin-sauer.
Er betonte auch das es eine Statistik gibt die aussagt das in Bremen Fremdarbeiter in der frühen Nachkriegszeit nicht öfter kriminell wurden als Deutsche.
Wenigstens war er aber ehrlich genug zu sagen das viele Osteuropäer auf keinen Fall zurück nach Osteuropa wollten (aus unterschiedlichsten Gründen) sondern Alles daran setzten in Deutschland bleiben zu dürfen.
Ihn habe ich so verstanden das aus seiner Sicht Gewalttaten von Fremdarbeitern gegen Deutsche logische Folge der Zwangsarbeit waren - Gewalttaten von Deutschen gegen Fremdarbeiter aber von Rassismus, Vorurteilen und Hass gekennzeichnet waren.


Das Kriegsende im Oldenburger Münsterland

Als Nächstes betrat ein OTL a.D. die Bühne und erklärte auf welche Weise die Briten und Kanadier nachdem sie den Rhein überquert hatten bei ihrem Vorstoß Richtung Bremen das Oldenburger Münsterland nahmen.
Unsere Heimat wurde von Fallschirmjägern und Teilen der Division Großdeutschland verteidigt - zum Glück wurden die Ortschaften weitgehend verschont. Der Norden Cloppenburgs und Friesoythe sind leider zwei Beispiele dafür was mit Orten geschah die sich nicht ergaben.
Ein sehr detaillierter Vortrag. Wenn ich mit geschrieben hätte könnte ich jetzt jede einzelne Truppenbewegung wiedergeben - mit der genauen Bezeichnung der Einheiten. Aber interessant.
Das es zwischen Vechta und Goldenstedt tatsächlich eine "Linie Vechta" gab die auch teilweise verteidigt wurde war mir z.B. bislang nicht klar.


Die Auflösung

Endlich kam der vierte und letzte Vortrag - gehalten von Dr. Hirschfeld.
Er gab noch einmal einen Überblick über seine Forschungsarbeit zum Thema und sagte Einiges zum Thema "Verhältnis Deutsche + Fremdarbeiter im Oldenburger Münsterland". Ein kleiner Seitenhieb gegen seinen Hamburger Kollegen war es sicherlich das er offen sagte die Bremer Forschung mit dem Ergebnis das Fremdarbeiter nicht öfter kriminell waren als Deutsche würde er für das Oldenburger Münsterland nicht teilen - auch für Bremen wäre die Frage durch was die Deutschen und durch was die Fremdarbeiter kriminell wurden.
Er bestätigte im Prinzip die Aussage meiner Großmutter das (sicher auch in Folge von Ernährungsengpässen oder eigenmächtigem Absetzen) Raubzüge und teilweise auch Vergewaltigungen vorkamen.
Zudem berichtete er das sich Bürgerwehren bildeten um sich gegen Raub zu wappnen. Ob es Übergriffe gegen Fremdarbeiter gab konnte er nicht ausschließen - in den Haftbüchern der britischen Besatzer fand er in der unmittelbaren Nachkriegszeit aber keine Fälle von Mordanklagen für den Bereich Oldenburger Münsterland.
Was sich über Kroge sicher sagen ließ war das drei Bürger Kroges und ein Lohner Polizist beim Versuch Fremdarbeiter in den Tagen nach Kriegsende festzunehmen von diesen erschossen wurden. Eine kleine Gedenkstätte in Kroge erinnert immer noch daran.
Die Forschung nach einem Mord an Fremdarbeitern in Kroge brachte keine Ergebnisse. Die Polizei versuchte die Leichen dort zu finden wo sie angeblich vergraben wurden - ohne Ergebnis. Sie stellte das Verfahren dann nach ein paar Monaten ein.
Auch Herr Dr. Hirschfeld fand darauf keinen direkten Hinweis.

Fazit? 

Im Zweifel für den Angeklagten. Meine Urgroßeltern, meine Oma und auch meine Mutter sind also von mir jetzt "frei gesprochen". Ach, wenn sie das noch erleben könnten...
Ausgeschlossen ist eine solche Tat allerdings wohl auch nicht. Es könnte gewesen sein.
In einer Atmosphäre in der Hass und Gewalt herrschten, Raub, Vergewaltigung und Mord möglich war und in einem Ort auch schon vier Menschen getötet wurden die sich dem in den Weg stellten eine durchaus mögliche Option.
Wenn ich eines Tages vor dem Allmächtigen stehe wird er hoffentlich meine Neugier nicht verdammen sondern stillen. Es gibt zu viel das ich gern wüsste.

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